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Agile Führung: Den Wandel meistern und Organisationen zukunftsfit machen

Veröffentlicht am 16. Mai 2024

  • Operating Model Design & Agilität

In der heutigen dynamischen Geschäftswelt ist ein Umdenken in der Führung von entscheidender Bedeutung, um Organisationen zukunftsfähig zu machen. Es sind Führungsfähigkeiten gefordert, die Individuen, Teams und die Organisation zu mehr Selbstorganisation, höherer Kunden- und Mitarbeitendenzufriedenheit sowie qualitativ besseren Ergebnissen befähigt. Wir beleuchten, in welcher Form Führung in agilen Kontexten vorkommt und wie agile Führungskräfte in der Lage sind, ihren Führungsstil je nach Bedarf an verschiedene Situationen anzupassen.

Agile Leadership verteilt Führung auf viele Köpfe

Wenn wir über unterschiedliche Formen von Führung nachdenken, kommen uns meist inhaltliche und disziplinarische Führungsaufgaben in den Sinn. In der „alten” Arbeitswelt wurde häufig die Person mit der ausgeprägtesten fachlichen Expertise irgendwann zur Führungskraft befördert. Übernommen hat sie dann in der Regel aber nicht nur die inhaltliche Führung („Welches Produkt entwickeln wir?”, „Was machen wir als Nächstes?”), sondern auch die disziplinarische Führung. Darunter verstehen wir die Führung mit Weisungsbefugnis. Die disziplinarische Führungskraft ist verantwortlich für die Entwicklung der Mitarbeitenden und arbeitsrechtliche Belange.
Dieses Konzept weist einige Schwachstellen auf. Zum einen geht damit eine große Belastung der Führungskraft einher, da sie viele sehr unterschiedliche Verantwortlichkeiten bewältigen soll. Zum anderen beobachten wir in der Praxis häufig, dass die Person mit dem größten Fachwissen nicht notwendigerweise die Fähigkeiten mitbringt, die es braucht, um Mitarbeitende zu stärken und bei ihrem Wachstum zu begleiten. Diese Aufgaben erfordern eine große Portion Empathie, Wertschätzung und Inspiration.

Agile Führung lernt aus diesen Herausforderungen und verteilt Führung auf viele Köpfe.

Besondere Bedeutung hat für uns die Aussage „Agile Führung lernt aus diesen Herausforderungen und verteilt Führung auf viele Köpfe“. Es zeigt auf, dass aus den identifizierten Schwächen des bisherigen Ansatzes gelernt wird und eine Neuorientierung stattfindet. Die Erkenntnis, dass die traditionelle Führungsstruktur nicht mehr zeitgemäß ist, führt zu einem Paradigmenwechsel. Agile Leadership erkennt an, dass eine breitere Verteilung von Führungsaufgaben notwendig ist, um den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Ein zentrales Element dieser evolutionären Führungsphilosophie ist die klare Abgrenzung und gleichzeitige Zusammenarbeit der lateralen und disziplinarischen Führungskräfte. Durch diese enge Verzahnung wird sichergestellt, dass die Führung in eine gemeinsame Richtung verläuft und gleichzeitig die Hierarchie nicht als alleinige Grundlage dient.

In agilen Organisationen gewinnen laterale Führungskräfte (z. B. Product Owner/ Scrum Master) ohne Weisungsbefugnis zunehmend an Bedeutung, da sie es sind, die tagtäglich mit den Teammitgliedern zusammenarbeiten und sie fachlich oder methodisch führen. Neben der inhaltlichen Führung, die durch einen Product Owner verantwortet wird, etabliert sich auch die Rolle des Scrum Master. Diese Person gibt die methodische Führung vor und sorgt dafür, dass das Team die agilen Werte und Prinzipien versteht, lebt und gut zusammenarbeitet.

In Ergänzung zur lateralen Führung bleibt in den meisten agilen Organisationen auch die disziplinarische Führung bestehen. Für die Integration disziplinarischer Führung in das agile Setting gibt es keine universelle Lösung. Jedoch haben wir basierend auf unserer langjährigen Erfahrung bei agilen Transformationen einige bewährte Praktiken abgeleitet.
Eine gängige Herangehensweise besteht darin, dass disziplinarische und inhaltliche Führung in agilen Organisationen von verschiedenen Personen wahrgenommen werden. Die disziplinarische Führungskraft konzentriert sich nicht auf die inhaltliche Ebene und kann stattdessen die Führung mehrerer Mitarbeitenden übernehmen.
Um sicherzustellen, dass sowohl disziplinarische als auch laterale Führungskräfte erfolgreich agieren können, ist eine enge Zusammenarbeit und Kooperation zwischen diesen beiden Rollen entscheidend. Ein Schlüsselfaktor für Erfolg ist das gegenseitige Vertrauen. Dies ermöglicht eine effektive Arbeitsteilung und schafft eine Grundlage für eine harmonische Zusammenarbeit, in der die Stärken beider Führungsansätze optimal genutzt werden können.

Die disziplinarische Führungskraft hat Einfluss auf den Erfolg der lateralen Führung
Die disziplinarische Führungskraft hat Einfluss auf den Erfolg der lateralen Führung

Mit dem Modell der lateralen und disziplinarischen Führung verändern sich auch die Aufgabengebiete. Die disziplinarische Führungskraft muss beispielsweise Verantwortung in der fachlichen Weiterentwicklung abgeben, kann sich jedoch verstärkt auf die langfristige, persönliche Entwicklung jedes einzelnen Mitarbeitenden fokussieren. Die laterale Führungskraft hingegen ist für das Ergebnis eines Produkts oder Projekts verantwortlich und übernimmt Aufgaben wie die Zusammensetzung des Teams, Kommunikation innerhalb des Teams und über Teamgrenzen hinaus und die methodische Führung.
Bei dem Zusammenspiel von lateraler und disziplinarischer Führung ist es wichtig, die beiden Rollen von Anfang an klar voneinander abzugrenzen. Systemisches Coaching kann Führungskräfte dabei unterstützen, ihre Rolle zu schärfen und ein agiles Mindset zu entwickeln.

Agile Führung: Wer wird eigentlich geführt?

Wir haben nun Klarheit darüber geschaffen, welche Formen von agile Leadership es gibt. Doch wer wird im agilen Setting eigentlich geführt? Hierfür haben wir zwei Ebenen mit vier Dimensionen herausgearbeitet, die diese Frage beantworten. Wir betrachten hierbei die individuelle Führung mit den Dimensionen Selbstführung und 1:1 Coaching und Führung mit Fokus auf das Unternehmen mit den Dimensionen Teamcoaching und Führung der gesamten Organisation.

Agile Führung wirkt auf zwei Ebenen in vier Dimensionen. Die vier Dimensionen sind:1:1 Coaching, Organisationsführung, Teamcoaching und Selbstführung
Agile Führung wirkt auf zwei Ebenen in vier Dimensionen

Selbstführung

Eine essenzielle Voraussetzung dafür, andere führen zu können, ist die Auseinandersetzung mit sich selbst und die Bereitschaft, sich als Führungskraft weiterzuentwickeln. Darunter fällt:

  • Den eigenen Führungsstil zu reflektieren.
  • Eigene Glaubenssätze zu hinterfragen.
  • Kontinuierliche Auseinandersetzung mit sich selbst.

1:1 Coaching

Die zweite Dimension umfasst das Coaching und die Weiterentwicklung einzelner Teammitglieder. Mit systemischem Coaching können wir eine Veränderung der Organisationskultur erreichen. In der Rolle eines Coaches können Führungskräfte Mitarbeitende dabei unterstützen, die Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Förderung von Selbstverantwortung und Eigeninitiative erforderlich sind. Dazu gehören Kommunikation, Empathie und die Fähigkeit, Mitarbeitende zu inspirieren. Generell lassen sich die Ziele des

1:1 Coachings wie folgt zusammenfassen:

  • Mitarbeitende so entwickeln und fördern, dass sie sich selbst die Kompetenz aneignen, ihr Verhalten zu reflektieren und anzupassen.
  • Förderung von Selbstverantwortung und Eigeninitiative.
  • Herausarbeiten von Stärken und Fähigkeiten mit den einzelnen Mitarbeitenden, sowie Generierung einer Vision.

Teamcoaching

Das Ziel des Teamcoaching ist, Gruppen von Mitarbeitenden in eine Richtung auszurichten, sodass sie eine einheitliche Vision und Arbeitsverständnis haben. Teamcoaching ist ein Prozess, der die Zusammenarbeit verbessert und die Leistungsfähigkeit des Teams erhöht. Wie auch im 1:1 Coaching wird das Team mit systemischen Fragen in die Lage versetzt, eigenständig Lösungen zu entwickeln. Teile des Teamcoachings sind:

  • Das Team wird angeregt, selbstorganisiert zu arbeiten und eigenständig kontinuierliche Verbesserungen anzustreben.
  • Gemeinsamen Way of Working definieren.

Gesamte Organisation

Die Organisation als Ganzes verstehen wir als System, das aus einzelnen Elementen (z. B. Teams und einzelnen Mitarbeitenden) besteht, die sich wechselseitig beeinflussen. Veränderungen auf Organisationsebene oder auch in einem Team haben Einflüsse auf andere Organisationsbereiche. Daher sind eine Vision für die Gesamtorganisation und abgestimmte Ziele zwingend notwendig. Besondere Bedeutung kommt auf dieser Ebene den Führungskräften zu:

  • Definition und Abgrenzung der Führungsrollen.
  • Unternehmensstrukturen aufdecken und Silodenken beseitigen.
  • Einheitliche Werte und Prinzipien im Unternehmen etablieren und festigen.

Egal, ob als laterale oder disziplinarische Führungskraft, ob wir einzelne Mitarbeitende, Teams oder auf Organisationsebene führen, je nach Situation müssen wir uns eines anderen Führungsstils bedienen.

 

Agile Leader bedienen sich unterschiedlicher Führungsstile – und das hat seinen Grund

Agile Führungskräfte greifen zu unterschiedlichen Führungsstilen, da sie abhängig der Situation und den zu führenden Personen entscheiden müssen, inwiefern und auf welche Art und Weise eine Einbindung notwendig ist. Das folgende Schaubild zeigt beispielhaft sechs Führungsstile, die regelmäßig zum Einsatz kommen.

Unterschiedliche Führungsstile werden je nach Situation eingesetzt. Die Führungsstile sind:Coaching, Mentoring, partizipativ, Meditation, Richtungsweißend und Visionär
Unterschiedliche Führungsstile werden je nach Situation eingesetzt

Mediation:

Die Rolle des:der Mediators:Mediatorin übernimmt zum Beispiel ein Scrum Master bei der Lösungsfindung in Konfliktgesprächen mit Teammitgliedern. Hier nimmt der Agile Leader eine neutrale Rolle ein. Alle Perspektiven sollen gehört werden, der Agile Leader sorgt dafür, dass die Teammitglieder ihre Bedürfnisse, die hinter ihren Standpunkten liegen, kommunizieren können und unterstützt bei der Lösungsfindung, ohne diese vorzugeben.

Richtungsweisend:

Im agilen Umfeld gibt es oft das Vorurteil, dass alle Ideen und Initiativen aus dem Team kommen. Insbesondere aber in Phasen der Neuformung von Teams benötigen diese oft Orientierung, die der Agile Leader geben kann. In einem agilen Unternehmen kann ein richtungsweisender Führungsstil durch Objective Key Results (OKRs) gelebt werden. Ein Teil der Ziele wird dabei Top-down gesetzt, um eine Richtung vorzugeben. Die Teams brechen dann Bottom-up die Ziele Output-orientiert herunter. Ein weiteres Beispiel kann die Produktvision eines Teams sein, die der Product Owner ins Team trägt und dessen konkrete Umsetzung im Team liegt.

Visionär:

Damit Teams selbstorganisiert arbeiten können, müssen Agile Leader ihre Mitarbeitenden mit einer klaren und aufregenden Vision motivieren. Sie helfen auch einzelnen Personen, ihre Rolle in dieser Vision zu erkennen. Der Hauptvorteil dieser Art von Führung besteht darin, dass jeder ein klares Bild vom endgültigen Ziel hat. Konkrete Beispiele sind die Vision des Project Owners (POs), die beschreibt, wo die Reise hingehen soll und die einen roten Faden im Backlog erkennen lässt. Die Entwicklung einer Teamvision kann mithilfe eines Team Canvas in der Retrospektive erarbeitet werden.

Coaching:

Hier wird die Führungskraft mehr zu einem:einer Beobachter:in, der:die Impulse setzt aber keine Anweisungen gibt. Die Lösungsfindung gelingt durch Fragetechniken oder Tools, durch die der:die Coachee sich reflektiert und neue Handlungsspielräume erkennt. Coaching kann sowohl im Team als auch mit einzelnen Teammitgliedern erfolgen.

Mentoring:

Der Agile Leader wird zum Sparringspartner und nimmt die Rolle der:des erfahrenen Ratgeberin:Ratgebers ein. In dieser Position tragen Mentor:innen zugleich auch eine berufliche sowie persönliche Vorbildfunktion. Sie sind Experten:Expertinnen, die konkrete, inhaltliche Ratschläge und Hilfestellung geben können.

Partizipativ:

Der Agile Leader bindet aktiv Teammitgliedern in Entscheidungen ein, um volles Potenzial aus allen Kompetenzen zu schöpfen. Methodisch kann sich Delegation Poker oder Fist-of -Five bedient werden. Beim Delegation Poker wird spielerisch herausgearbeitet, welche Aufgaben im Team liegen und welche die Führungskraft übernimmt. Fist-of-Five ist eine Abstimmungsmethode, bei der die Teammitglieder angeben, wie zuversichtlich sie auf einer Skala von 1 bs 5 sind, dass etwas erfolgreich zum Abschluss gebracht wird.

Agile Leadership als Grundpfeiler in der Transformation

Eine Führungskraft für alles? Das war schon immer ein wackeliges Konzept und sollte nun definitiv der Vergangenheit angehören. Zukunftsfähige Organisationen setzen auf die Verteilung der Führungsverantwortung auf viele Köpfe. So können Führungskräfte sich auf das konzentrieren, was sie besonders gut können: Inhaltlich die Richtung vorgeben, die Methodik verantworten oder sich auf die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden fokussieren. Auch den einen Führungsstil gibt es nicht mehr. Agile Leader bedienen sich bedarfsgerecht aus einem Werkzeugkasten verschiedener Führungsstile und erfüllen somit zu jederzeit optimal die Teambedürfnisse.
In erfolgreichen Transformationen wird das Thema agile Führung ins Zentrum gestellt. Denn Führungskräfte haben eine große Strahlkraft. Sie sind sichtbar und können als Multiplikatoren wirken. Deswegen sollten sie unbedingt mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn das gelingt, sind auch die Mitarbeitenden inspiriert, sich stärker selbst zu führen. Und das ist wiederum eines der wichtigsten Ziele einer agilen, zukunftsstarken Organisation.
Wavestone begleitet euch bei eurer Transformation und coacht eure agilen Führungskräfte.
Worauf wartet ihr noch?

Verfasst von

  • Katharina Simon

    Senior Consultant – Deutschland, München

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  • Sabrina Haas

    Senior Consultant – Deutschland, München

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  • Regine Hübner

    Senior Consultant – Deutschland, München

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