Kundenzentrierung: Warum das Kundenerlebnis zum maßgeblichen Erfolgsfaktor wird
Veröffentlicht am 17. Mai 2024
- Customer Experience
- Versicherungen
Das Bedürfnis von Verbraucher:innen nach Individualität, Selbstverwirklichung und größtmöglichem Komfort ist stärker denn je. Gleichzeitig werden Produkte und Dienstleistungen zunehmend austauschbar. Deshalb müssen Unternehmen sich künftig vor allem über das Kundenerlebnis differenzieren: Nur wer außergewöhnliche Erlebnisse schafft, kann eine langfristige Kundenbindung generieren, sagt Uta Niendorf, Partner und Customer-Experience-Expertin bei Wavestone.
Frau Niendorf, beim Thema Kundenorientierung ist einiges in Bewegung. Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung ein?
Internet und Digitalisierung haben zu einer Verschiebung der Informationsasymmetrie zugunsten von Endkunden geführt. Wissen, das früher Expert:innen vorbehalten war, lässt sich heute längst googeln, überall gibt es Vergleichsrechner für Stromanbieter, Flüge oder Bankkonten. Das führt dazu, dass Verbraucher:innen deutlich informierter sind und höhere Erwartungen haben, was Produkte und Services, aber auch Transparenz, Convenience und individuelle Lösungen betrifft. Gleichzeitig sorgen Deregulierung und Innovationen dafür, dass neue Wettbewerber in bestehende Märkte drängen. Ein Beispiel sind Versicherungen, wo neue Player zur Konkurrenz werden. So wird der Autohersteller Tesla nun auch Autoversicherungen anbieten und die Online-Versicherung Lemonade verkauft in Deutschland digitale Hausrat -und Haftpflichtversicherungspolicen, die sich schnell und effizient abschließen lassen.
Das zeigt deutlich: Die Differenzierung findet nicht zwingend über das Produkt statt. Eine Versicherung ist immer noch eine Versicherung. Stattdessen gewinnt das Kundenerlebnis als solches immer stärker an Bedeutung. Deshalb muss die Kundenorientierung mehr denn je im Zentrum stehen.
Worauf kommt es dabei vor allem an?
Unternehmen müssen immer wieder reflektieren: Wo hat der Kunde ein besseres Erlebnis, bei mir oder beim Wettbewerb? Und was ist ihm wichtig – möchte beispielsweise ein Tesla-Kunde sein Auto online konfigurieren oder will er es doch lieber beim Autohändler anschauen und anfassen? Legt ein Versicherungskunde mehr Wert auf den persönlichen Kontakt zu seinem/seiner Berater:in oder auf die unbürokratische Bearbeitung seines Bagatellschadens innerhalb von 24 Stunden? Das gilt es für Unternehmen zu erfassen und schnell darauf zu reagieren.
Sie sagen, dass die Kundenerwartungen künftig deutlich anspruchsvoller werden. Werden Unternehmen irgendwann an die Grenzen des Machbaren stoßen?
Fakt ist: Der Wettbewerb wird immer globaler, die Märkte sind mehr denn je miteinander verwoben und auf globaler Ebene außerdem weniger reguliert. Den erforderlichen Wandel, um weiterhin mithalten zu können, werden nicht alle traditionellen Player in den verschiedenen Branchen schaffen. Stattdessen wird es zu einer Konzentration auf diejenigen Unternehmen kommen, denen es gelingt, möglichst passgenaue Lösungen zu bieten. Es braucht in Deutschland keine 376 Sparkassen mit rund 13.000 Filialen und knapp 205.000 Mitarbeiter:innen, wenn alle Kunden ihre Bankgeschäfte hauptsächlich online erledigen. Den „Gemischtwarenladen“ ohne klare Positionierung und Spezialisierung wird es nicht mehr geben.
Die Transformation von Geschäftsmodellen ist bei manchen Playern schon in vollem Gange. Zum Beispiel wandelt sich VW gerade vom Automobilhersteller zum Technologieunternehmen. Und auch auf anderen Märkten findet Weiterentwicklung statt. Ein Beispiel ist Ping An: Der chinesische Versicherer unterstützt sein medizinisches Team durch KI dabei, rund um die Uhr medizinische Dienstleistungen für seine Kunden anbieten zu können. Dazu gehören Online-Konsultationen, Überweisungen sowie der Verkauf und die Expresslieferung von Medikamenten. Zwar werden diese Wettbewerber derzeit noch aufgrund regulatorischer Barrieren aus den hiesigen Märkten herausgehalten, dennoch müssen sich Unternehmen gerade in vermeintlich traditionellen Branchen anpassen. All das sind spannende Entwicklungen.
Unternehmen müssen immer wieder reflektieren: Wo hat der Kunde ein besseres Erlebnis, bei mir oder bei meinem Wettbewerber?
Was wird in den kommenden fünf Jahren relevant?
Es muss und wird noch deutlich stärker darum gehen, so genannte Kunden-Wow-Momente zu schaffen, also wirklich außergewöhnliche Kundenerlebnisse. Ein wichtiges Element ist hier zum einen die Hyperpersonalisierung, also äußerst individuelle Angebote auf Basis von Produkten und Services, die der Kunde schon angesehen, gekauft oder genutzt hat. Gute Beispiele sind Streaming-Anbieter wie Netflix oder Spotify und natürlich Amazon: Hier bekommt jeder unterschiedliche, auf seiner jeweiligen Historie basierende Empfehlungen vorgeschlagen, obwohl das Gesamtangebot selbst für alle gleich ist.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist Preference Management. Dabei entscheidet der Kunde selbst, wann er wie und über welchen Kanal über welche Themen informiert werden möchte. All das wird künftig unverzichtbar sein, um zufriedene und loyale Kunden zu haben, muss aber auch gut umgesetzt werden. Maßnahmen, die mechanisch und wenig emotional ablaufen, provozieren negative Kundenerlebnisse und führen letztlich zu schwindender Loyalität und Wechsel zum Wettbewerb.
Wie lässt sich beides konkret umsetzen?
Auf der Basis von Kundendaten; je umfangreicher und qualitativ hochwertiger, desto besser. Von welchem Gerät und mit welcher Internetgeschwindigkeit greift der Kunde zu? Ist er angemeldet oder kann ihm die Registrierung angeboten werden? Wann hat er zuletzt den Shop besucht? Liegen in seinem Warenkorb regelmäßig ungekaufte Artikel, welche Produkte oder Inhalte präferiert er und was wird regelmäßig retourniert? Um solche Informationen geht es.
Zudem können Daten- und KI-Modelle immer besser Kundenbedürfnisse prognostizieren, weil sie wiederkehrende Muster im Kundenverhalten erkennen. Dabei gilt es, den Spagat zwischen klugem Einsatz und sauberem Umgang zu schaffen, basierend auf Regularien und Verbraucherschutz. Denn Kundenerwartungen müssen auch in Sachen Datenschutz und Datenethik gut gemanagt werden. Alles zusammengenommen ergibt eine optimale Kundenorientierung.
Wer agiert aus Ihrer Sicht heute schon optimal im Sinne der Kunden?
Gute Beispiele gibt es viele: Die Versicherung Lemonade sticht in puncto Geschwindigkeit beim Versicherungsabschluss heraus. DHL ist mittlerweile vorbildlich, was absolute Transparenz über die Lieferkette und proaktive Information betrifft. Und Tesla wird gerade in Deutschland auch noch zum Autoversicherer, der umsichtige Autofahrer:innen mit guten Konditionen belohnt. Das ist ein Musterbeispiel für Transformation.
Zum Schluss: Was raten Sie Unternehmen, die das Thema Kundenorientierung aktiv angehen wollen?
Drei Dinge sind wichtig. Erstens: Die Kundenbedürfnisse in den Fokus rücken, unerfüllte Bedürfnisse aufdecken und sie erfüllen. Zweitens: Erlebnisinnovation zur täglichen Gewohnheit machen. Das bedeutet, die Lücke zwischen Markenversprechen und Kundenerlebnissen zu schließen. Und drittens muss das Kundenerlebnis zur unternehmensübergreifenden Aufgabe gemacht werden. Das bedeutet, Silos abzubauen und die Arbeit der verschiedenen Abteilungen viel stärker miteinander zu verzahnen. So lassen sich zukünftig und langfristig Kundenerlebnisse verbessern und Wünsche erfüllen, ohne Rentabilität und Nachhaltigkeit zu gefährden.
Verfasst von
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Uta Niendorf
Partner – Deutschland, Hamburg
Wavestone
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