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Braucht der ökologische Wandel künstliche Intelligenz?

Veröffentlicht am 13. Mai 2024

  • Daten & Künstliche Intelligenz
  • Nachhaltigkeit

Dieser Beitrag wurde zusammen mit Maher Chebbo verfasst, dem Managing Director von Envision Digital Europe und Mitglied des Council of Engineers on the Energy Transition der Vereinten Nationen.
Artikel ursprünglich veröffentlicht bei La Tribune am 5. Oktober 2023.

Während sich die Debatten über die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) und die Fülle neuer Anwendungen verschärfen, gewinnt die Frage nach der Verbindung zwischen digitaler und nachhaltiger Transformation an Bedeutung.

Sollten wir aus der Nutzung von KI Kapital schlagen, um den ökologischen Wandel zu beschleunigen? Oder könnte KI im Gegenteil mit beunruhigenden Herausforderungen einhergehen, die eher dazu führen, alte Modelle zu stärken anstatt neue zu erfinden?

Vier Thesen, die zum Nachdenken anregen:

  1. KI ist für den ökologischen Wandel notwendig.
  2. Die Technologie allein reicht nicht aus.
  3. KI bringt neue Herausforderungen in Bezug auf Ethik und CSR mit sich.
  4. KI ist nur einer von vielen „intelligenten“ Bausteinen für eine erfolgreiche ökologische Transformation.

KI ist essenziell für den Wandel

KI wird sich positiv auf die Stabilität des Energiemixes auswirken und kann in diesem Kontext helfen, Schwankungen bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien besser zu steuern – ein essenzieller Schritt für eine erfolgreiche Energiewende. Künstliche Intelligenz wird dazu beitragen, die Produktion alternativer kohlenstofffreier Energiequellen wie grünen Wasserstoff auf breiter Basis zu ermöglichen, z. B. durch die Optimierung des Betriebs künftiger großer Elektrolyseanlagen. KI wird auch beim Abwägen zwischen verschiedenen Energiequellen und Speicheroptionen (Batterien, Wasserstoff, Geospeicher …) nützlich sein.

Im Bereich des Nutzungsmanagements kann KI den Energiebedarf effektiver prognostizieren, den zukünftigen Gebäudeverbrauch vorhersagen, die Steuerung verschiedener Lasten optimieren und zwischen dem Energieverbrauch, der für die künftige Speicherung benötigt wird und dem Wiederverkauf von dekarbonisierter Energie abwägen. KI wird dabei unterstützen, die Grenzverwischung zwischen Erzeugern und Verbrauchern und die vielfältigen Kombinationen von Stromerzeugung, -verbrauch, -speicherung und -einsparung vor dem Markthandel, besser zu managen. Die Technologie wirkt sich auf sämtliche Industrien und Branchen aus: Dazu gehören Elektromobilität, Heizung und Lüftung, Wasser- und Abfallwirtschaft, Luftqualität, Rückverfolgbarkeit und Logistikoptimierung.

Der ökologische Wandel erfordert die Verarbeitung riesiger Datenmengen, was mithilfe von KI zu erschwinglichen Kosten möglich sein wird, während sie gleichzeitig den wachsenden Strom komplexer Informationen bewältigt. Dies ist eine zentrale Herausforderung, um die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die nichtfinanzielle Berichterstattung (CSRD, Taxonomie usw.) zuverlässig zu implementieren.

Die Technologie allein reicht nicht aus

Neben KI-Diensten „in der Cloud“ beruhen neue Konzepte wie Edge KI auf eingebetteter Intelligenz in vernetzten Objekten, Geräten und Industriesystemen, um Informationen schneller zu verarbeiten und gleichzeitig zu Energieeinsparungen beizutragen. STMicroelectronics hat kürzlich Innovationen angekündigt, mit denen der Energieverbrauch von Haushaltsgeräten um 40 % gesenkt werden kann. Es werden immer mehr Anwendungen entwickelt, um den Betrieb von Klimaanlagen zu optimieren, Wasserlecks zu identifizieren usw.

Diese Innovationen stecken jedoch noch in den Kinderschuhen. Damit sie ihre positive Auswirkung auf den Wandel entfalten können, sind drei Faktoren ausschlaggebend:

  1. Bewährte und nachhaltige Geschäftsmodelle
  2. Strukturierte Wertschöpfungsketten, in denen sich aufeinander abgestimmte Unternehmen zusammenschließen, die für die Herausforderungen der Souveränität sensibilisiert sind und eine gemeinsame Vision und kompatible Ambitionen haben
  3. Ein förderlicher rechtlicher Rahmen (Governance, Normung usw.)

KI bringt neue Herausforderungen in Bezug auf CSR mit sich

Generative KI-Tools werfen große soziale Fragen auf, da sie eine massive Mobilisierung von „Datenarbeitern“ erfordern, die die Algorithmen vorab trainieren und ihre Fehlfunktionen korrigieren. Die Arbeiter befinden sich überall auf der Welt (Türkei, Kenia, Südafrika, Venezuela, Philippinen usw.), wie eine Untersuchung des Time Magazine im Januar 2023 enthüllte, in der die Praktiken von OpenIA angeprangert wurden.

Die schnelle Entwicklung von KI in Millionen von vernetzten Geräten wird große Auswirkungen auf die Umwelt haben. Die steigende Nachfrage nach Halbleitern und kritischen Komponenten erzeugt zusätzlichen Bedarf an verschiedenen Ressourcen (Wasser, Energie, seltene Metalle …). Im nachgelagerten Sektor gibt es noch viele Hindernisse für die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft und die Begrenzung der Verschmutzungsrisiken.
Die schnelle Entwicklung von KI in Millionen von vernetzten Geräten wird große Auswirkungen auf die Umwelt haben. Die steigende Nachfrage nach Halbleitern und kritischen Komponenten erzeugt zusätzlichen Bedarf an verschiedenen Ressourcen (Wasser, Energie, seltene Metalle …). In den nachgelagerten Schritten gilt es noch viele Hindernisse zu bewältigen, um eine Kreislaufwirtschaft zu entwickeln und die Risiken der Umweltverschmutzung zu begrenzen.

Angesichts dieser Umstände (zu denen noch Herausforderungen in den Bereichen Ethik, Ausbildung und Umschulung, Schutz des geistigen Eigentums, Wertverteilung usw. hinzukommen) müssen auf internationaler Ebene klare Regeln und Rechtsprechungen aufgestellt werden, die der Sorgfaltspflicht entsprechen. KI-Technologien müssen kritisch und ethisch analysiert werden, um die Bedingungen für ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Nutzung zu bestimmen.

KI ist nur ein „intelligenter“ Baustein von vielen

Abgesehen von den technischen Herausforderungen bleibt der ökologische Wandel ein komplexer, politischer Prozess, an dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist (und der außerdem einer Reihe von Unsicherheitsfaktoren und externen Faktoren unterliegt, die mit der Weltlage zusammenhängen). Nicht zu vergessen sind die legitimen Widerstände der Nutzer, wenn die Vorteile nicht gut antizipiert und erklärt werden.

Bei allem Optimismus sollten wir bedenken, dass die KI nicht alle anderen Formen der Intelligenz (politische, relationale, kulturelle, geostrategische usw.) ersetzen kann, die für einen erfolgreichen Wandel erforderlich sind. Sie muss darüber hinaus die Vielfalt an Sprachen, Kulturen, Werten und Wahrnehmungen bewahren, die das Grundgerüst der Welt bilden, während sie heute auf Daten aus dem Internet beruht, die zwangsläufig nicht repräsentativ sind. KI ist nur ein Schritt in einem langfristigen Prozess: Es liegt an uns, sie als Chance zu nutzen.

Das ist unsere größte Herausforderung: die menschliche und technologische Intelligenz und die unerlässlichen Bedürfnisse bestmöglich zu koordinieren und zu dosieren, um eine erfolgreiche Gleichung zu finden und alle Komponenten (und manchmal widersprüchlichen Forderungen) des Wandels in Einklang zu bringen. Den Wandel zu steuern, bedeutet eine gewaltige Aufgabe, sowohl auf globaler Ebene als auch innerhalb jeder einzelnen Organisation, die sich an den gemeinsamen Maßnahmen und Anstrengungen beteiligt.

Verfasst von

  • Cédric Baecher

    Partner – Frankreich, Paris

    Wavestone

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