Insight

Sustainable Banking Praktiken in der EU: Gestaltung der Zukunft des Finanzwesens

Veröffentlicht am 6. Mai 2024

  • Banken
  • Change Management
  • Nachhaltigkeit

Im Laufe der letzten Jahre ist Europa Weltmarktführer im nachhaltigen Banking geworden. Die europäische Finanzbranche ist unter der Führung der Europäischen Union (EU) bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeit in ihre Investitionen, Geschäfte und regulatorischen Rahmenbedingungen führend, wobei Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance (ESG)) immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Die EU ist der Ansicht, dass einem nachhaltigen Finanzwesen bei der Erreichung der innenpolitischen Ziele eine maßgebliche Rolle zukommt, indem Investitionen in den Übergang zu einer CO2-armen, ressourceneffizienteren und nachhaltigen Wirtschaft im Rahmen des Europäischen Green Deal sowie der internationalen Nachhaltigkeitsverpflichtungen der EU gelenkt werden.

Nachhaltiges Finanzwesen (oder Green Finance) 

Prozess der Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekten (ESG) bei Investitionsentscheidungen im Finanzsektor, was zu mehr langfristigen Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten und Projekte führt (Europäische Kommission, 2021).

Der europäische Green Deal und Initiativen für ein nachhaltiges Finanzwesen

Im Dezember 2019 hat die Europäische Kommission den europäischen Green Deal vorgestellt, eine umfassende Strategie zur Umwandlung der europäischen Wirtschaft in ein nachhaltiges klimaneutrales Modell bis 2050. Er beinhaltet die Bekämpfung des Klimawandels, des Verlusts der Artenvielfalt und von Umweltverschmutzung bei gleichzeitiger Förderung des Wirtschaftswachstums und eines gerechten Übergangs für alle Regionen und Bürger der EU.

Die Europäische Kommission hat angekündigt, dass zur Finanzierung des europäischen Green Deal insgesamt € 1 Billion in die Transformation der europäischen Wirtschaft investiert werden soll. Die Gelder sollen hauptsächlich im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens der EU (MFR) 2021-2027 und des NextGenerationEU-Fonds generiert werden. Die öffentliche Förderung wird jedoch nicht ausreichen, um die ehrgeizigen Ziele des Green Deal zu erreichen. Es verbleibt ein beträchtlicher Teil, der in erster Linie vom Privatsektor finanziert werden muss, was geeignete rechtliche Rahmenbedingungen und Anreize zur weiteren Förderung von ESG-Investitionen erfordert. Infolgedessen fördert die EU schrittweise regulatorische Änderungen und Initiativen, um diese Art von Investitionen zu unterstützen.

Im Laufe des Jahres hat die Strategie des europäischen Green Deal mehrere auf diese grundlegenden Ziele abgestimmte Initiativen hervorgebracht. Am 24. Oktober 2023 hat der Rat den Vorschlag der Kommission für eine im Februar mit dem Parlament vereinbarte Verordnung über europäische grüne Anleihen angenommen. In der Verordnung wird ein hoher Standard für grüne Anleihen festgelegt (EUGBS). Die Verordnung, die 12 Monate nach der Genehmigung anwendbar wird, schreibt vor, dass mindestens 85 % der mit diesen Anleihen eingesammelten Gelder der Taxonomie-Verordnung entsprechen, so dass Anleger leichter auf die langfristige Tragfähigkeit ihrer Investitionen vertrauen können und das Risiko von Greenwashing verringert wird Um den Verwaltungsaufwand zu verringern, wird die Kommission außerdem standardisierte Vorlagen für die Bereitstellung von Informationen über die Taxonomie-Anpassung grüner Anleihen bereitstellen.

Im Juni 2023 hat die Europäische Kommission zudem das EU-Paket Sustainable Finance mit Maßnahmen zur Stärkung des Sustainable Finance Framework der EU mit Schwerpunkt auf der Förderung von Investitionen in Transformationsprojekte und Stärkung der Transparenz bei nachhaltigen Investitionen eingeführt. Das Paket umfasst Folgendes:

Die Europäische Kommission hat eine Reihe von Kriterien für die EU-Taxonomie genehmigt, die mehr Umweltziele abdecken. Entsprechend den Empfehlungen der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen besteht das Ziel darin, die EU-Taxonomie umfassender zu gestalten und für die Ausweitung nachhaltiger Investitionen in der EU besser nutzbar zu machen. Die Rechtsakte werden dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Prüfung vorgelegt; es wird erwartet, dass seit Januar 2024 anwendbar sind.

Wie beziehen europäische Banken und Aufsichtsbehörden ESG-Kriterien ein?

Trotz verstärkter Bemühungen der EU-Banken und -Aufsichtsbehörden steht die Einbeziehung von ESG noch am Anfang. Die Umsetzung zur Erzielung einer wirksamen Integration in das Risikomanagement, die Geschäftsstrategien und die Anlagepolitik der Banken sowie in die Aufsicht muss beschleunigt werden.

In den letzten Jahren haben die Banken Anstrengungen zur Stärkung der Governance-Strukturen unternommen und zentrale Nachhaltigkeitsteams eingerichtet, um die ESG-Integration konzernweit voranzutreiben. Jedoch besteht bei der Integration von ESG-Faktoren in die Risikomanagementpraktiken der Banken immer noch eine große Herausforderung, da es keine gemeinsame und detaillierte Definition von ESG-Risiken für die Banken gibt. Trotz deutlicher Fortschritte bei der Bewertung von klimabezogenen Risiken ist weiterhin unklar, welchen Beitrag die verschiedenen ESG-Faktoren zu den verschiedenen Arten von Finanzrisiken leisten. Die meisten Banken betrachten diese Risiken aus Sicht des Reputationsrisikos oder eines strategischen Risikos und sehen sie im Allgemeinen als Querschnittsrisiko und nicht als Hauptrisiko an.

Diese begrenzte Integration erstreckt sich auf Geschäftsstrategien und Anlageentscheidungen. Auch wenn einige Banken bereits ESG-Produkte und -Leistungen, wie grüne Projektfinanzierung und energieeffiziente Hypotheken, anbieten ist die Integration von ESG-Faktoren in das komplette Produkt- und Leistungsangebot, einschließlich außerbilanzieller Risikoexpositionen, noch im Gange. Die Portfolioanalyse von ESG-Finanzierungs- und -Investitionsaktivitäten beschränkt sich häufig auf bestimmte Sektoren und Produkttypen, vor allem auf Hochrisikosektoren, mit Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien und grünen Anleihen. Obwohl viele Banken die Absicht haben, ESG-Faktoren in ihre Kreditvergabe als Teil umfassenderer ESG-Strategien zu integrieren, fehlt es ihnen oft an einer angemessenen Überwachung und spezifischen Zielen. Zudem befindet sich die Integration von ESG-Risiken in Risikomodelle und Stresstests in der Anfangsphase. Es sind weitere Entwicklungen erforderlich, um quantitative Ansätze zu verfeinern und ESG-Risiken in Bezug auf längerer Zeithorizonte als wesentlich anzuerkennen.

Ebenso liegt bei der effektiven Integration von ESG-Risiken in die Aufsicht der EU-Aufsichtsbehörden noch ein langer Weg vor uns. Die Wichtigkeit der Einbeziehung von Umwelt- und Sozialauswirkungen in Bankaktivitäten wird zwar mehrheitlich anerkannt. Jedoch gibt es anhaltende Diskussionen darüber, ob ESG-Risiken als Hauptrisiko oder als Antreiber bestehender Risikokategorien anzusehen sind. Infolgedessen werden ESG-Pfeiler und spezifische Risiken häufig nicht ganzheitlich, sondern separat bewertet. Zudem müssen die quantitativen Kennzahlen zur Messung von ESG-Risiken noch mit Fokus auf qualitative Elemente in Zusammenhang mit Risikoprozessen in Banken umfassend definiert werden.

Viele Aufsichtsbehörden haben gleichwohl Leitlinien zur ESG-Integration herausgegeben, die Bereiche wie Risikodefinition, Governance, Strategie, Risikomanagement und Offenlegung abdecken. Gemeinsame Leitlinien werden für die Harmonisierung von Praktiken und die Stärkung des Bewusstseins für ESG-Risiken in den beaufsichtigten Einrichtungen als vorteilhaft angesehen.

 

Regulatorische Rahmenbedingungen

Auch wenn der Regulierungsrahmen derzeit noch in den Kinderschuhen steckt, wird er von politischen Entscheidungsträgern ausgebaut, die sich dem Ziel der Förderung eines nachhaltigeren Wirtschaftssystems verschrieben haben. Finanzinstitute spielen dabei eine entscheidende Rolle. Diese Verpflichtung zur Nachhaltigkeit wird durch die wachsende Zahl an europäischen Regulierungsvorgaben rund um ESG-Aspekte belegt, die die gesamte Risikolandschaft der Wertschöpfungskette des Bankensektors erheblich verändern.

Die EZB hat 2020 den Leitfaden Guide on climate-related and environmental risk veröffentlicht, in dem umfassende Aufsichtserwartungen in Bezug auf die Strategie, die Vorausschau und den Umweltrisikoansatz seitens der Finanzinstitute dargelegt werden. Die Banken wurden daraufhin Anfang 2021 aufgefordert, eine Selbstbeurteilung anhand des EZB-Leitfadens durchzuführen und später zu prüfende Maßnahmenpläne zu erstellen. 2022 hat die EZB eine umfassende Prüfung der Strategien, Governance- und Risikomanagementrahmen der Banken, gegebenenfalls gefolgt von Follow-up-Maßnahmen, gestartet. Zudem wurde eine Reihe guter Praktiken von zahlreichen Instituten zur Erfüllung der Aufsichtserwartungen aus dem Leitfaden bereitgestellt.

2022 hat die EZB im Rahmen eines größeren Maßnahmenpakets einen branchenweiten Klima-Stresstest (kurz CST für Climate Risk Stress Test) durchgeführt, um den Grad der Vorbereitung einer Bank auf das Klimarisikomanagement zu bewerten. Der CST umfasst einen strukturierten Fragebogen, eine Bewertung des Übergangsrisikos der Banken und einen Bottom-up-Stresstest, um umfassend zu bewerten, wie die Banken diese Risiken in ihre Strategie, ihre Unternehmensführung und ihr Risikomanagement integriert haben und inwieweit die Banken die aufsichtlichen Erwartungen der EZB in Bezug auf klimabezogene Risiken erfüllen.

Außerdem hat die EBA 2022 den endgültigen Entwurf von Implementing technical standards (ITS) on Pillar 3 disclosures related to ESG risks veröffentlicht. Die ITS gelten für große Institute, deren Wertpapiere auf einem regulierten Markt gehandelt werden, und sind eine Reihe von qualitativen und quantitativen Offenlegungsstandards in Zusammenhang mit dem Management von, der Exposition gegenüber und der Minderung von ESG-Risiken. Die EBA verfolgt einen schrittweisen Ansatz, der sich aufgrund der Dringlichkeit und der Datenprobleme zunächst auf Risiken in Zusammenhang mit dem Klimawandel konzentriert. Das Hauptziel ist es, die Transparenz und Vergleichbarkeit der Offenlegung von ESG-Risiken im Einklang mit bewährten Verfahren auf EU- und internationaler Ebene zu verbessern.

Die 2016 eingeführte EU-Richtlinie zur nicht-finanziellen Berichterstattung (NFRD), die im Wesentlichen aus prinzipienbasierten Vorgaben für große Einrichtungen von öffentlichem Interesse (mehr als 500 Beschäftigte) zur Veröffentlichung von nichtfinanziellen Informationen zu Umwelt- und Sozialaspekten besteht, wird durch die Nachhaltigkeitsrichtlinie (CSRD), die im Januar 2023 in Kraft getreten ist, ersetzt. Anders als die Vorgängerrichtlinie verstärkt die CSRD die Berichterstattung von Sozial- und Umweltinformationen mittels Ausweitung des Kreises der betroffenen Unternehmen und Aufnahme von Verpflichtungen zur umfassenderen und detaillierteren Offenlegung entsprechend den verbindlichen EU-Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS), die im Juli 2023 verabschiedet wurden. Diese Standards berücksichtigen die fachlichen Empfehlungen der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) und sind auf die Vorgaben aus der Taxonomie-Verordnung und der SFDR abgestimmt. Ziel der CSRD ist es, den Akteuren die maßgeblichen Informationen zur Beurteilung der Umwelt- und Sozialauswirkungen von Unternehmen und zur Bewertung von finanziellen Risiken und Chancen in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit an die Hand zu geben. Die neuen Regeln gelten erstmals im Geschäftsjahr 2024, wobei die Berichte 2025 zu veröffentlichen sind.

Die im Juli 2020 implementierte EU-Taxonomie spielt für den Sustainable Finance Framework der EU ebenfalls eine entscheidende Rolle, da sie die Definition von ökologisch nachhaltigen Geschäftstätigkeiten in Einklang mit den für NFRD-Unternehmen geltenden Offenlegungspflichten vereinheitlicht. Die EU-Taxonomie legt mit delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten technische Auswahlkriterien für jedes Umweltziel fest. Ein Beispiel ist der delegierte Rechtsakt für wirtschaftliche Tätigkeiten von Juni 2023, in dem vier übergreifende Bedingungen dargelegt werden, die eine wirtschaftliche Tätigkeit erfüllen muss, um als ökologisch nachhaltig zu gelten. Die vereinheitlichte Definition bietet eine Orientierungshilfe für Investitionen in Aktivitäten, die für den Übergang wesentlich sind und schützt gleichzeitig vor Greenwashing und Marktfragmentierung.

Zudem hat die EU 2021 die Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzinstrumente (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) eingeführt. Diese bildet einen Rahmen, der die Finanzmarktteilnehmer zur Offenlegung von Informationen in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und ESG verpflichtet, so dass Anleger Unternehmen und Projekte unterstützen können, die Nachhaltigkeit fördern und Nachhaltigkeitsrisiken beurteilen. Die SFDR geht über reine ökologische Nachhaltigkeit hinaus und umfasst auch soziale Ziele als Teil der weitergefassten EU-Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen.

Darüber hinaus hat die Kommission die seit 2018 geltende MiFID II überarbeitet und 2021 den Vorschlag zur Abänderung der Richtlinie 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente veröffentlicht. Diese Anpassungen haben zum Ziel, Nachhaltigkeit im EU-Finanzsystem zu verankern, sie gehen über den Anwendungsbereich der SFDR hinaus und verpflichten MiFID-Institute zur Aufnahme spezifischer ESG-Aspekte in ihre Produkt-Governance-Regelungen. Im August 2023 veröffentlichte die ESMA die neuen Leitlinien zu den MiFID-II-Produktgovernance-Anforderungen, die die Angabe aller nachhaltigkeitsbezogenen Ziele beinhalten, mit denen ein Produkt vereinbar ist.

Ausblick

Zusammengefasst gesagt ist nachhaltiges Banking in Europa nicht länger ein Nischentrend, sondern bedeutet einen Umbruch in der Finanzbranche. Mit einem zweifelsfrei verbesserten Regulierungsrahmen und der Verpflichtung zum verantwortungsbewussten Banking bereitet Europa den Weg für einen Finanzsektor mit mehr Umwelt- und Sozialbewusstsein und gestaltet die Zukunft des Finanzwesens in Europa und darüber hinaus.

Angesichts der dringenden Notwendigkeit, die Umsetzung des europäischen Green Deal zu beschleunigen, ist es nichtsdestotrotz sinnvoll, weitere finanzielle Anreize zur Förderung von grünen Investitionen zu prüfen, darunter Steueranreize für grüne Investitionen oder „Green Branding“, nicht nur grüne Anleihen, sondern auch andere Finanzprodukte, wie Aktien, Darlehen oder forderungsbesicherte Wertpapiere.

Verfasst von

  • Gonçalo Bacelar

    Senior Consultant – Luxemburg, Luxemburg

    Wavestone

    LinkedIn