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Zeitbombe Mainframe? Wie Unternehmen die Legacy-Integration nahtlos bewältigen

Veröffentlicht am 17. Mai 2024

  • Business Software Entwicklung

Fachkräftemangel – dieses Schlagwort geistert seit Jahren durch einen vom demografischen Wandel geprägten deutschen Arbeitsmarkt: Während sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Stellen vielfach aussuchen können, Löhne steigen und Zusatzleistungen wie Homeoffice, Workation und betriebliche Altersvorsorge immer wichtiger werden, suchen Unternehmen händeringend nach dem richtigen Fachpersonal. Besonders prekär ist die Lage in den IT-Abteilungen: 70 Prozent der deutschen Unternehmen beklagen hier einen Mangel an qualifizierten Mitarbeitenden, nur zwei Prozent halten das Angebot für ausreichend. Insgesamt rund 150.000 offene Stellen verzeichnet der Wirtschaftsstandort Deutschland derzeit im Bereich IT. Ausgerechnet in dieser Situation befinden sich die Mainframe-Systeme vieler Unternehmen in der Transformationsphase: Software, Betriebssysteme und Programmiersprachen erreichen das Ende ihrer Lebenszyklen, da sie mit modernen Web-Anwendungen nicht mehr kompatibel sind. Akuter Mangel an Fachpersonal trifft auf tiefgreifende Change-Prozesse im Herzen der Unternehmens-IT – das stellt viele Firmen vor große Herausforderungen. Wie sollten sie diesen am besten begegnen?

Mainframe-Systeme bilden als zentrale Architektur, einschließlich der zugehörigen Softwarekomponenten, das Herzstück vieler Unternehmens-IT. Als robustes Arbeitstier sind sie für viele Firmen seit Jahrzehnten unverzichtbar. Die Großrechner werden für das Management riesiger Datenbestände, die Bewältigung großer Transaktionsvolumina und die Bereitstellung entscheidender Anwendungen eingesetzt. Dazu gehören in erster Linie Online-Transaktionen in Echtzeit, etwa das Abrufen von Kontoständen und das Bearbeiten von Bestellungen in einem E-Commerce-System. Hinzu kommt die sogenannte Batch-Verarbeitung – das Abarbeiten ähnlicher Aufgaben in Chargen oder „Batches“. Mit Effizienz, Leistungsstärke und Zuverlässigkeit haben Mainframes viele Jahre lang dafür gesorgt, dass entscheidende Geschäftsbereiche vom Buchungssystem bis zur Buchhaltung reibungslos funktionieren. Doch obwohl sie teilweise über Schnittstellen in die „moderne“ Welt verfügen, basieren viele der eingesetzten Lösungen auf Eigenentwicklungen. Sie wurden vor langer Zeit programmiert und kontinuierlich an die individuellen Anforderungen angepasst.

Ende der Lebenszyklen

Trotz bewährter Funktionen stoßen viele Mainframe-Lösungen heute an ihre Grenzen. Oft befinden sich Anwendungen auf Basis von Programmiersprachen wie Cobol, PL/I und Assembler am Ende ihres Lebenszyklus. Das verursacht Probleme wie eingeschränkte Anpassungsfähigkeit, komplexe Wartung, unzureichende Dokumentation und Inkompatibilität mit modernen Web- und Mobillösungen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der erfahrenen Entwickler und Spezialisten, die mit Mainframe-Technologien vertraut sind, gerade das Rentenalter erreichen. Der Mangel an Nachwuchskräften, die bereit sind, sich in veraltete Programmiersprachen wie Cobol einzuarbeiten und in diesem Umfeld zu arbeiten, verschärft diese Problematik. Während früher die Kosten und der hohe Personalaufwand die größten Herausforderungen für Firmen waren, sind es heute die Inkompatibilität und der Mangel an Fachleuten.

Die Transformation von Mainframe-Lösungen ist allerdings eine komplexe Aufgabe: Moderne Programmiersprachen wie Java oder Python müssen implementiert, bestehende Anwendungen parallel weiter betrieben werden. Und für die Transformation selbst fehlt es an allen Ecken und Enden an qualifizierten Entwickler:innen.

Auf einem zunehmend dynamischen Arbeitsmarkt, dem es besonders an IT-Spezialisten mangelt, haben junge Talente keine Lust mehr, sich mit diesen alten, sperrigen Systemen auseinanderzusetzen. Dennoch ist die Modernisierung der Mainframe-Systeme für die meisten Unternehmen heute alternativlos.

Bernhard Davignon, Partner im Bereich Technologie & Innovation bei Wavestone

Ist die Public Cloud alternativlos?

Viele große Konzerne setzen daher seit einigen Jahren konsequent auf die Migration ihrer Systeme in die Public Cloud: Die drei dominierenden US-Hyperscaler Amazon, Google und Microsoft beherrschen den Markt für Web-Services, die komplett auf die Server dieser Dienstleister ausgelagert sind. Das bringt den Kunden hohe Skalierbarkeit und leistungsstarke Tools – aber es erzeugt auch Abhängigkeit von den präpotenten Cloud-Anbietern. „Und zumindest das Gefühl eines gewissen Kontrollverlusts“, sagt Bernhard Davignon. „Hinzu kommen komplexe Vorgaben von Bund und EU von Verbraucherschutz bis Datensicherheit, etwa der Cloud-Act und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)“, so Davignon. „Kleine und mittlere Unternehmen schrecken deshalb oft vor einer umfassenden Cloud-Migration zurück.“

Ein weiterer Aspekt: Vor allem kleinere Unternehmen befürchten, dass die großen Anbieter nicht so detailliert auf ihre Bedürfnisse eingehen, wie es bei Weltkonzernen der Fall ist. Was ist, wenn grundlegende Tools und Services nach einer Weile ersatzlos eingestellt oder die Lizenzbestimmungen nachteilig verändert werden? „Die Migration in die Public Cloud ist nicht alternativlos“, sagt Davignon. „Unternehmen haben die Wahl, ihre Mainframe-Systeme on-premise zu modernisieren oder in die Private Cloud zu migrieren. Beides sind echte Alternativen, für die es starke Partner mit ausreichend Know-how und Manpower gibt.“

Drei Lösungswege

Eine erfolgreiche Transformation erfordert nicht nur technische Maßnahmen, sondern auch eine sorgfältige Planung und Umsetzung von Projektmanagement, Change Management und Personalplanung. Drei Wege stehen zur Verfügung.

Dieser Ansatz beinhaltet die Aktualisierung der Mainframe-Anwendungen und -Systeme, während sie weiterhin lokal in der Unternehmensumgebung betrieben werden. Die Umstellung von älteren Programmiersprachen wie Cobol auf modernere Sprachen wie Java trägt dazu bei, Wartungsaufwand, Skalierbarkeit und Flexibilität der Systeme zu verbessern.

„Ob On-premise, Public- oder Private Cloud: Es gibt bei der Legacy-Integration von Mainframe-Systemen keinen Königsweg“, so Davignon. „Abhängig von Größe und Manpower eines Unternehmens, aber auch von dessen Geschäftsbereich, Kundenstamm und Services, sollte immer eine individuelle, maßgeschneiderte Lösung entwickelt werden.“ Diese kann aus einem der drei Wege, aber auch einer Teil- oder Multi-Cloud-Strategie bestehen.

Grundlegend ist zunächst die Bestandsaufnahme mit einem kompetenten und vertrauenswürdigen Partner: Welche IT-Anwendungen benötigt das Unternehmen? Welche betreibt es bereits, welche müssen dazukommen, welche sind möglicherweise überflüssig? Wohin will sich das Unternehmen mittelfristig entwickeln – und welche Migrationsstrategie erfordert das? Auf dieser Basis erarbeiten die Partner ein Zielbild. Anschließend erfolgt die Migration: in eine öffentliche oder private Cloud. Auch der Weiterbetrieb on-premise ist auf Wunsch nach der Modernisierung möglich. Am Ende des Prozesses steht mit dem Decommissioning die Stilllegung der veralteten Systeme und Anwendungen.

Die fünf Rs

Nicht nur die fach- und bedarfsgerechte Migration, sondern auch der Weiterbetrieb der ursprünglichen Systeme ist bei der Transformation und Modernisierung von Legacy-Systemen auf dem Mainframe von grundlegender Bedeutung. Bewährte Strategien für eine effiziente und sichere Modernisierung und Migration finden sich in den „5 Rs“:

Nicht mehr benötigte Anwendungen werden abgeschaltet. Dazu müssen die betroffenen Funktionalitäten und System zunächst isoliert werden. Dadurch werden die laufenden Betriebs- und Wartungskosten reduziert.

Alle R-Komponenten und zukünftigen Strategien, ob on-premise oder in der Cloud, erfordern ein gutes Projekt- und Change-Management. Nur so gelingt der Weiterbetrieb der alten und der Übergang zu den neuen Systemen reibungslos und ohne das Risiko von Systemausfällen und Downtimes. Grundlage dafür ist eine gute, zukunftsorientierte Personalplanung und die professionelle Unterstützung durch kompetente Partner, die bei Bedarf auch Managed Services-Lösungen zur Verfügung stellen können.

Wettbewerbsfähigkeit sichern

Die Modernisierung von Mainframe-Systemen ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Skalierbarkeit und Kosteneffizienz der IT-Landschaft von Unternehmen. Die Integration neuer Technologien und die Anpassung an sich ändernde Geschäftsanforderungen erfordern eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Modernisierung der hauseigenen Systeme. Der gegenwärtige Trend Public-Cloud ist oft für Konzerne mit zehntausenden Mitarbeitern der richtige Weg – das muss aber nicht für jede Firma gelten. Vor allem für mittelständische Unternehmen kommt es darauf an, präzise zu analysieren und Change-Prozesse strategisch klug einzuleiten. Neben Investitionen in die Transformation von Legacy-Systemen sollten Unternehmen dabei ihre Personalpolitik zukunftsorientiert gestalten und starken Partnern vertrauen. So stärken sie ihre Wettbewerbsfähigkeit und sichern langfristig Erfolg.

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