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Zukunft der Automobilindustrie: Die Transformation zur Software-driven Company

Veröffentlicht am 14. Mai 2024

  • Automotive & Industrie

Die Automobilindustrie befindet sich in einem disruptiven Wandel: Die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Kunden ändern sich massiv, verschärfte regulatorische Vorgaben definieren neue Rahmenbedingungen und Technologien im Bereich der Antriebe und Software wandeln sich rasch. Zudem drängen neue Teilnehmer auf den Markt und setzen traditionelle Fahrzeughersteller zunehmend unter Druck.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Automobilhersteller die Transformation zur Automotive Software-driven Company meistern und mit ihren Stärken im Hardwarebereich kombinieren. Denn das digitale Kundenerlebnis wird in der Automobilindustrie der Zukunft der wichtigste Differenzierungsfaktor. Drei Dimensionen spielen bei dieser umfassenden Transformation der Automobilbranche die zentrale Rolle: Der Mensch, die Technologie und das Business.

Zukunftshebel 1:

Der Mensch

Automotive-Unternehmen und ihre Mitarbeitenden müssen Strukturänderungen wie „Software first“ im Arbeitsalltag leben. Das geht nicht ohne einen tiefgreifenden Mentalitätswandel.

Heute: Über mehr als hundert Jahre hat die Automobilindustrie ihre Produkte, ihr Geschäftsmodell und die daraus abgeleiteten Prozesse perfektioniert. Ihr gelang eine beeindruckende Optimierung der traditionellen Entwicklungs- und Produktionsprozesse.

Doch daraus haben sich auch Bedingungen ergeben, die angesichts der neuen Herausforderungen zu Schwächen werden. So passen etwa vierjährige und längere Entwicklungszyklen für neue Fahrzeuggenerationen nicht mehr zu den schnelllebigen Anforderungen der Kunden.

Hochspezialisierte, weltweite Lieferketten erweisen sich angesichts von Krisen als zu fragil.

Morgen: Jede Transformation wird durch den Menschen und seine Vision getrieben. Um den Herausforderungen der Transformation in der Automobilindustrie zu begegnen, müssen Unternehmen und ihre Mitarbeitenden starre Strukturen durchbrechen und einen Mentalitätswandel in der gesamten Organisation erreichen.

Aus strukturellen Änderungen ergibt sich an einigen Stellen auch steigende Komplexität – mit ihr umzugehen, ist eine weitere Herausforderung.

Im Zentrum steht immer das richtige „Mindset“. Denn ohne echte Akzeptanz bei den Mitarbeitenden sind tiefgreifende Änderungen wie „Software first“ zum Scheitern verurteilt.

 

Größte Chancen

  • Um die erforderliche Anpassungsfähigkeit zu erreichen, müssen Automobilhersteller adaptive und agile Strukturen aufbauen. Bestehende Silos gilt es aufzulösen. Ziel ist, die bestehenden Stärken zu erhalten und gleichzeitig die Flexibilität zu erhöhen.
  • Entwicklungsprozesse und Produktangebote aus Kundenperspektive zu denken, erfordert die Beherrschung von komplexen Produktzusammenhängen und somit systemisches Denken. Wenn dies gelingt, lassen sich Verbesserungen schneller ins Produkt integrieren.
  • Eine reine Orientierung auf Zahlen und Quartalsergebnisse wird den Herausforderungen der Automobilindustrie in Zukunft nicht gerecht werden. Gelingt es, das Denken auf „Purpose“ beziehungsweise Visionen auszurichten, wird das für schnelle Adaption benötigte offene Mindset gefördert.

 

Größte Risiken

  • Effiziente Strukturen sind nicht unbedingt anpassungsfähige Strukturen. Die Adaption erfordert, sich auch von Bewährtem ein Stück weit zu lösen – gegebenenfalls auch gegen interne Widerstände.
  • Iterative Innovationszyklen können die Silobildung stärken. Die Herausforderung besteht darin, innovativ und gleichzeitig anpassungsfähig zu bleiben.
  • Häufige Veränderungen im Markt führen heute zur Bildung von Task Forces. In der aktuellen Frequenz führt dies zu einem hohen organisatorischen und prozessualen Veränderungsbedarf und erschwert somit die Fähigkeit sich schnell anzupassen.

Zukunftshebel 2:

Die Technologie

Automotive Software steht künftig im Zentrum des automobilen Kundenerlebnisses. Produkt- und Technologieentwicklung müssen diesem Paradigmenwechsel folgen.

Heute: Bis vor knapp zehn Jahren stand in der Automobilindustrie vor allem die Optimierung des Hardwareprodukts im Vordergrund.

Verbrennungsmotoren wurden immer leistungsfähiger, laufruhiger und effizienter, die Fahrdynamik verbesserte sich von Fahrzeuggeneration zu Fahrzeuggeneration.

Doch der Trend, der sich schon seit den 1990er Jahren abzeichnete, nahm massiv an Fahrt auf: Zunehmend spielt Software eine entscheidende Rolle im Fahrzeug.

Autos sind hoch digitalisiert und vernetzt. Die Kundenerwartung wird nun von Gewohnheiten wie dem Umgang mit dem Smartphone geprägt.

Morgen: Im Zentrum der Automobilindustrie steht künftig Software. Die Hersteller und viele ihrer Zulieferer müssen einen Wandel zur Automotive Software-driven Company vollziehen.

Hochdigitalisierte Fahrzeuge ebnen damit den Weg zu neuen Optionen von Mobilität wie assistiertes, hochautomatisiertes oder später autonomes Fahren.

Aus „digitaleren“ Angeboten ergeben sich wiederum höhere Anforderungen in Bezug auf Daten- und IT-Sicherheit, die regelmäßige Softwareupdates über die gesamte Lebenszeit eines Fahrzeugs erfordern.

Auch Markenidentitäten und Differenzierung vom Wettbewerb werden in Zukunft in der Automobilindustrie zunehmend von Software geprägt sein.

Produkt- und Technologieentwicklung müssen diesem Ansatz folgen.

 

Größte Chancen

  • „Software first“ ist die Antwort darauf, vom Smartphone geprägte Kundenerwartungen künftig auch im Auto zu erfüllen. Digitale Angebote und Updates begleiten das Fahrzeug über seinen gesamten Lebenszyklus bis zum „End of Service“.
  • Vernetzung und Software-Zentrierung ermöglichen neue Angebote und Erlösmodelle in der Automobilindustrie. Für Zukunftsentwicklungen wie autonomes Fahren sind sie eine zwingende Voraussetzung.
  • Stabile und auf langfristige Nutzung ausgelegte IT-Architekturen bieten eine solide Basis für die Anforderungen der Zukunft.

 

Größte Risiken

  • Vernetzte Fahrzeuge sind seit gut zehn Jahren am Markt. Gestiegene Kundenerwartungen und veränderte Rahmenbedingungen treffen auch diese Bestandsfahrzeuge – wo Änderungen und Anpassungen aber nicht mehr oder nur noch mit großem Aufwand realisierbar sind.
  • Mit der Vernetzung und Digitalisierung der Automobilindustrie steigt das Risiko von Cyber-Attacken. Sichere IT-Strukturen und eine Cybersicherheits-Strategie für Fahrzeuge („Frontend“) und Backend-Systeme sind unverzichtbar.
  • Connected Cars stellen höchste Ansprüche sowohl an die funktionale (Fahrzeug-)Sicherheit (Safety) als auch an die Datensicherheit (Security). Die Automobilindustrie steht vor der Herausforderung, das wohl technisch anspruchsvollste Produkt aus Hardware und Software überhaupt zu entwickeln und über seinen Lebenszyklus sicher zu halten.

Zukunftshebel 3:

Das Business

Die Zukunft in der Automobilbranche ist unsicherer denn je. Organisationen müssen sich auf diese Uneindeutigkeit einstellen und ihre Geschäftsmodelle sowie Prozesse entsprechend auslegen.

Heute: Innovationsmanagement, Lieferkettenoptimierung und Absatzsteigerungen –  sie waren die wichtigen Stellschrauben im Automotive Business von gestern. Geschäftsmodelle und Prozesse waren eindeutig Hardware-driven. Rückt nun die Software ins Zentrum, hat dies erhebliche Auswirkungen auf Strategien und Geschäftsmodelle. Klar ist aber auch, dass es ein großer Fehler wäre, die in über hundert Jahren entwickelten Stärken aufzugeben. Vielmehr gilt es, diese Stärken mit passgenauen Antworten auf die neuen Herausforderungen zu kombinieren.

Morgen: Wie das Auto in zehn Jahren aussehen wird, war noch nie so schwierig vorauszusehen. Entscheidend werden daher Anpassungsfähigkeit und das Geschick, auf veränderte Marktbedingungen und Kundenanforderungen schnell reagieren zu können. Für Unternehmen bedeutet dies vor allem, ihre Kunden ins Zentrum von Strategie und Geschäftsmodellen zu stellen. Automobilhersteller und ihre Zulieferer müssen ihre Prozesse verschlanken und effizienter gestalten, neue Geschäftsfelder erschließen sowie strategische Partnerschaften mit Unternehmen aus anderen Branchen eingehen.

 

Größte Chancen

  • Eine konsequent digitale und auf „Omnichannel“ fokussierte Customer Journey kommt den Erwartungshaltungen der Kundschaft entgegen und holt sie genau auf dem Kanal ab, auf dem sie sich bewegt.
  • Das Produkterlebnis bei Kauf und Nutzung eines Autos ist nach wie vor emotional –  dies ist ein wichtiger Hebel für die Ansprache der Kundschaft, muss aber konsequent auf allen Kanälen realisiert werden.
  • Richtig umgesetzt bieten digitale Produkte und Dienste sowie datengetriebene Geschäfts- und Vertriebsmodelle viele neue Chancen.

 

Größte Risiken

  • Vertriebsstrukturen und Händler sind auf viele Auswirkungen der Disruption (wie etwa Online-Bestellung von Fahrzeugen) kaum vorbereitet. Es gilt, sie durch Weiterbildung, aber auch Incentivierung bzw. Anpassung der Erlösmodelle aktiv einzubinden.
  • Es gibt viele Hürden zu meistern: Silos im Unternehmen sind oft auch Datensilos – Unternehmen müssen sie aufbrechen. Gesetzliche Rahmenbedingungen zur Nutzung von Daten unterscheiden sich zwischen den Märkten. Dem müssen Angebote und Geschäftsmodelle Rechnung tragen.
  • Datenschutz ist zentral. Unternehmen sollten Kundendaten für Verbesserungen nutzen, sie aber nicht verkaufen. Die Kundschaft ist nicht das Produkt.

Die „Komponenten“ für die Transformation in der Automobilindustrie: Wie das vernetzte, software-zentrische Auto von morgen entsteht

Der Wandel bei Rahmenbedingungen, Kundenverhalten und Kundenerwartungen findet mit Hochdruck statt und ist unaufhaltsam.

Automobilhersteller, die nicht rechtzeitig auf diese Entwicklungen reagieren, drohen deshalb von den entscheidenden Faktoren bei der Wertschöpfung abgeschnitten zu werden.

Die Riesen der Software- und Dienste-Welt wie Google und Apple wollen den Automotive-Markt disruptiv verändern und somit de facto übernehmen.

OEMs müssen sich so aufstellen, dass sie dieser Herausforderung begegnen können.

Schließlich wollen sie nicht zu Lieferanten austauschbarer Hardwareplattformen degradiert werden.

Doch um in der Zukunft die dafür nötige Transformation zur Software-driven Company zu vollziehen, stehen Unternehmen aus der Automobilindustrie vor einer Vielzahl von Herausforderungen.

Wie kann es konkret gelingen, starre Strukturen zu durchbrechen, die Kunden ins Zentrum ihrer Strategie und ihres Handels zu stellen und dazu noch das entsprechende Mindset zu entwickeln?

Fünf zentrale Handlungsfelder unterstützen die Automobilbranche auf ihrem Weg in die Zukunft:

Die Hardware des Fahrzeugs wird zur Plattform für digitale Services und Produkte. Während diese über ihren Lebenszyklus weitgehend unverändert bleibt, werden Services und Produkte softwareseitig kontinuierlich erweitert.

Manche fallen weg, andere kommen neu hinzu. So können Automobilhersteller konsequent über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs individuell auf die Kundenbedürfnisse eingehen. Begleitet wird dies von einer vollständig digitalen Customer Journey.

Automobilhersteller müssen die Bedürfnisse ihrer Kundschaft über mehrere Kanäle hinweg erkennen und bedienen.

Verfasst von

  • Stephan Blankenburg

    Partner – Deutschland, Stuttgart

    Wavestone

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